Ich traue mich, diese Aussage zu treffen. Denn wenn du früher versucht hättest mir mein Leiden zu nehmen, wärst du nicht weit gekommen. Und das ist auch gut so.
Eine Frage die mir in letzter Zeit öfters begegnete, war „Warum leiden wir, wozu ist das gut, warum tun wir das immer wieder?“
In meinem Artikel „Leidensloser Schmerz“ habe ich darüber geschrieben, wie ich lernte, Schmerzen zu erfahren, ohne darunter zu leiden.
Schmerz und Leid sind zwei Dinge, die miteinander verbunden, aber nicht ein und dasselbe sind. Schmerz kommt, Schmerz geht. Leid ist hausgemacht und geht nicht einfach so wieder. Ich selbst kreiere mir mein Leiden und es bedarf einer Veränderung in mir, um das Leiden zu beenden.
Veränderung und Wachstum ist oft mit Schmerz verbunden. Wachstumsschmerz.
Vielleicht kannst du dich noch erinnern, wie du im Mutterleib geschlummert hast, dort wohlig warm versorgt und beschützt warst. Dann kam der Punkt, an dem du einfach zu groß wurdest und es Zeit war, diesen Bereich zu verlassen und einen neuen Bereich zu betreten. Es stand ein notwendiger Wachstumsschritt an.
Doch das Verlassen des Alten und das Betreten des Neuen war mit Schmerz und Ungewissheit verbunden. Es wurde einfach zu eng und die Geburt war durchaus anstrengend und langwierig und vom warmen beschützt sein ging es ins kalte Ungeschützte hinaus.
Ein notwendiger Wachstumsschritt, der mit Schmerzen und Ungewissheit verbunden war.
Oder beim Bodybuilding, beziehungsweise jedem Sport, bei dem Muskeln trainiert werden. Es kommt der Punkt, da wird das Trainieren der Muskeln schmerzen. Und wenn man dann aufhört, wird der Muskel nicht weiter wachsen. Er wächst nicht über sich hinaus, sondern bleibt in dem Bereich, den er „kennt“. Es ist notwendig, ein bisschen über den Schmerz hinaus zu gehen und dann „lernt“ der Muskel zu wachsen. So erklärt es Arnold Schwarzenegger in der Dokumentation „Pumping Iron“. Wachstumsschmerz.
Das Verlassen des bisher bekannten und das Eintauchen in das neue Unbekannte kann Angst und Schmerz auslösen.
Problematisch wird es allerdings nur, wenn ich versuche, dem Schmerz aus dem Weg zu gehen.
Wenn ich quasi versuche, im Mutterbauch zu bleiben, weil ich dort beschützt bin. Wenn ich nicht bereit bin, den Wachstumsschmerz auf mich zu nehmen, stelle ich mich gegen meinen natürlichen Wachstum. Eine Zeit lang mag das gehen, doch irgendwann bin ich zu groß für diesen Bauch, was ebenfalls schmerzhaft wird. Ich bin eingeengt und das widerspricht meinem natürlichen Dasein.
Es wird Zeit …
Und so ist das auch mit meiner Persönlichkeit. Wenn ich gegen mein natürliches Wachstum wie Kindheit, Jugend, Erwachsen sein, ankämpfe, dann halte ich mich künstlich in einem zu eng werdenden Bereich auf. Und zuerst vermeide ich den Wachstumsschmerz und dann erlebe ich immer wieder eine Beengung meiner Selbst. Und dieser Zustand ist auf eine künstliche Art selbst erschafft. Immer und immer wieder. Dies gilt nicht nur für Kindheit, Jugend etc., sondern auch für alle anderen Bereiche in denen es um persönlichen Wachstum geht.
Wenn ich diese Beengung nicht verlasse, erzeuge ich künstlichen Schmerz, den ich als Leid wahrnehme.
Das Leiden ist dadurch wiederum ein Hinweis darauf, dass ich mich gegen den natürlichen Lauf des Lebens stelle. Ich will nicht erwachsen werden, ich will nicht, dass mein Arm schmerzt, wenn ich das Gewicht noch einmal hebe, ich will nicht durch den Geburtskanal gepresst werden.
Das Leid will mich aufwecken, wachrütteln und mir sagen: Geh weiter. Bleib nicht stehen, halte nicht an dem alten, gewohnten fest. Verlasse deinen Komfortbereich und entdecke das Neuland, das vor dir liegt.
Wenn ich leide, halte ich immer wieder an dem Alten fest. Sei es, weil ich mal etwas Schmerzhaftes erfahren habe oder sei es, weil ich eine schöne Zeit nicht verlieren möchte.
Nicht das, was mir passiert, ist das Leiden. Nicht das, was ich verloren habe, ist das Leiden.
Dass ich nicht möchte, dass es sich wiederholt oder dass ich es verliere, erzeugt das Leid.
Dass ich an dem Alten festhalte, erzeugt das Leid in mir.
Immer und immer wieder das Gleiche
In mir ist also ein Teil, der mir weis machen möchte, ich dürfte ein bestimmtes Erlebnis auf keinen Fall noch einmal erleben. Oder ich dürfte etwas Bestimmtes auf keinen Fall verlieren.
„Oh ja, das wäre schrecklich“. Und in dem Moment erlebe ich es in Gedanken und somit ist es für mich auch schon passiert.
Das, was die Leidensgeschichten in mir erfindet, sorgt allerdings auch genau dadurch dafür, dass ich ihn entlarven kann. Nur wer eine Lügengeschichte erzählt, kann als Lügner entlarvt werden. Wo keine Lüge, da kein Aufdecken der Lüge.
So ist das Leid ein Zeichen der „Lüge“, ein Hinweis auf einen Irrtum, dem ich noch unterliege.
Ich darf also entdecken, welchem Irrtum ich noch unterliege. Welchem Wachstum stelle ich mich entgegen, welchen Wachstum möchte ich nicht haben?
Wenn ich mein Leid wiederhole, sage ich jedes Mal „Nein“ zu meinem persönlichen Wachstum. Ich muss das Leiden so lange wiederholen, bis ich bereit bin und „Ja“ sage.
Denn Wachstum ist der natürliche Lauf des Lebens.
Ja zum Schmerz.
Ja zum Wachstum.
Ja zu mir.
Ja zum Leben.
Es bedarf oft nur eines kleinen Schrittes.
Wie wenn ich oben auf dem Fünfmeterbrett im Schwimmbad stehe. Ich kann dort Minuten oder Stundenlang stehen und mir die ganze Zeit ausmalen, wie schlimm es ist, wenn ich dort runterspringen würde. Und all die Zeit sehe ich, wie ich falsch auf dem Wasser aufschlage. Ich male mir aus, wie schmerzhaft es ein wird und welche fatalen Folgen das auf mich und mein Leben haben wird. Ich durchlebe Minute für Minute im Geiste die Schmerzen.
Doch wenn ich runterspringe, dann bedarf es nur des einen Schrittes. Ich muss nicht viel machen. Es ist nur der eine Schritt, diese eine Entscheidung die sagt: Ja, Fuß nach vorne und los geht’s. Und dann falle ich, tauche ins Wasser ein und merke: So schlimm wie dachte, war es gar nicht.
Und plötzlich ist da die Erleichterung, die Freude über den eigenen Mut und plötzlich erkenne ich, wieviel Spaß es macht, durch die Luft zu fliegen und ins Wasser einzutauchen.
Es war nur ein Schritt nötig und schon kann ich den gewohnten Bereich verlassen, neue Erfahrung machen, aus ihr lernen und an ihr wachsen. Und das Springen fängt an, immer mehr Spaß zu machen. Und ich lerne, wieder in den natürlichen Flow zu kommen. Ich lerne, wie wertvoll es ist, mich dem Wachstumsschmerz zu stellen. Ich lerne, wie befreiend es für mich ist, diese beengte Höhle zu verlassen.
Jeder hat ein Recht auf Leiden.
Es war gut für mich, zu leiden. Denn so konnte ich erkennen, dass ich etwas verändern musste. So konnte ich mich meinem Wachstum hingeben und nicht länger entgegenwirken. So konnte ich Neues dazu lernen und erkennen, zu was ich aus eigener Kraft fähig bin.
Würde mir jemand diesen Wachstumsschmerz und mein damit verbundenes Leiden nehmen können, laufe ich Gefahr, mich nicht weiter zu entwickeln, obwohl das meinem natürlichen Dasein entspricht. Vielleicht würde ich im Mutterleib bleiben wollen und mich nicht den Aufgaben des Lebens stellen.
Jeder hat ein Recht auf Leiden. Auch wenn es unangenehm ist. Doch genau darum geht es ja. Selbst zu erkennen, was man sich da antut und selbst den einen Schritt hinaus ins neue Leben zu gehen.
Es bedarf nur dieser einen Entscheidung.
Und dann dieses einen Schrittes.
Hinaus. In deinen neuen Lebensabschnitt.
Danke, liebes Leid, dass du mir den Weg leitest und mir zeigst, dass es an der Zeit ist, etwas zu verändern.
Danke, dass du so beharrlich bist und dich nicht beirren lässt.
Danke, dass du mir wie ein Freund zur Seite stehst und mir immer und immer wieder die Wahrheit zeigst.
Danke, dass ich durch dich meinen eigenen Irrtum erkennen kann.
Danke, dass es dich gibt.
Und nun verabschiede ich mich von dir, denn du hast deinen Dienst getan.
Ich betrete mein eigenes Neuland und ich tauche durch den Schmerz in die Freude des Unbekannten hinein.
Du hast nun eine Pause verdient, wie auch ich es verdient habe, wieder in das Leben einzutauchen und es wahrzunehmen in seinem Glanz der Vollkommenheit.
Ich weiß, wir werden uns wieder begegnen und ich weiß, dann ist es an der Zeit dich liebevoll anzunehmen, dich zu umarmen und den nächsten Schritt zu tun.
So will es das Leben.
So ist der Lauf der Dinge.
Marius Schäfer
Persönlichkeits-Coach
Durch meine eigene Lebenskrise habe ich begonnen, mich damit auseinanderzusetzen, wie ich positive Veränderung in meinem Leben hervorrufen kann. Meine Erfahrungen teile ich hier mit dir.